Arbeitsplatzvernichtung

Ich habe einen Termin beim Friseur um halb neun. Ich muss danach arbeiten, eigentlich muss ich im Auto sitzen, während ich durch die Tür gehe. Ich werde begrüßt und erfahre im selben Satz, dass die Kollegin, die den Termin angenommen hat, schon gerügt wurde von der Kollegin, die meine Haare schneiden soll und eigentlich gar keine Zeit hat, weil um neun die nächste kommt, aber naja, waschen und schneiden bei mir - ein kurzer Blick - das müsste hinhauen. Ich stehe rum und werde dann auf den unbequemen Waschsessel gewiesen. Ich setze mich auf ein 15 cm hohes Schaumstoffkissen vor ein Waschbecken. Meine Beine hängen fast in der Luft, ich kann mich nicht abstützen oder sie übereinander schlagen. Neben mir steht die brodelnde Kaffeemaschine, an der sich meine Friseuse zu schaffen macht und anschließend Kaffeepötte füllt. Sie trinkt aus dem einen und schnappt sich den anderen. Mit ihrer Kollegin plaudernd nähert sie sich der Tür und sagt unbestimmt in den Raum hinein, sie werde dann mal den Kaffee rüberbringen. Ihre Kollegin meint, das könne sie doch auch tun, meine Friseuse erwidert beschwingt und gutherzig, sie sei aber dran. Sie streiten sich eine Minute, wer dran sei, meine Friseuse siegt und verschwindet über die Straße im Schusterladen gegenüber. Die Kollegin zupft sich vor dem Spiegel das Haar und die Kleidung zurecht und schwatzt munter auf mich ein: Der Schuster werde sonst immer von der Boutiqueverkäuferin nebenan mit Kaffee versorgt, aber die sei jetzt im Urlaub und der arme Mann habe keine eigene Kaffeemaschine, und er brauche doch einen Kaffee. Das sei ganz praktisch, weil man immer schnell mal rüber kann, wenn man was mit den Schuhen hat, dann geht man einfach rein und in nullkommanichts ist das gemacht. Man muss nicht warten und es ist überhaupt kein Problem. Das ist sehr sehr praktisch. Da ich nicht reagiere, wendet sie sich beleidigt ab und geht zu einem schon seit meinem Eintritt wartenden Kunden ohne Termin, um ihn auf den Stuhl zu bitten. Ich kann durch die Scheiben sehen, wie sich meine Friseuse offensichtlich verquatscht, sie steht vor dem Ladentisch des Schusters und redet gestikulierend. Es ist sechs nach halb. Dann verabschiedet sie sich und verlässt den Laden. In diesem Moment meint die Kollegin noch einmal Druck machen zu müssen und ruft über die Straße: Beeil dich! Dann sagt sie zu mir: Manchmal muss man da ein bisschen Druck machen! Als meine Friseuse herein kommt, sagt sie noch einmal zu ihr: Beeil dich doch mal! Du bist zu spät! Meine Friseuse antwortet unbeeindruckt, nein, das schaffe sie doch, sie sei doch nicht zu spät. Sie geht zur Kaffeemaschine, trinkt einen Schluck und fragt mich: Sie müssen noch zur Arbeit, was? Ich sage, ja, so ist es. Sie wäscht mir die Haare und fragt, wann ich anfange. Ich sage, ich müsste schon dort sein. Sie fragt, ob meine Arbeitsstelle weit ist. Ich sage nein, eine halbe Stunde. Sie sagt, ich hätte schon viel früher kommen können, sie selbst sei bereits seit kurz vor acht im Laden. Ich sage, na toll, aber ist ja jetzt auch egal, was soll ich jetzt noch dazu sagen, das hilft nun auch nicht mehr. Sie sagt, naja, jetzt sei ich ja auch da. Sie hat mir das Handtuch falsch umgehängt und jetzt läuft mir das Wasser links in den Hals. Ich versuche es mit dem Handtuch zu stoppen. Dann setze ich mich in den Stuhl. Sie nimmt die Handtücher ab und ruft triumphierend: Alles trocken! Sie fragt mich, ob ich einen Kaffee will, ich sage nein, ich hatte schon einen, Kaffee macht mich nervös. Sie beginnt mit dem Haare schneiden und erzählt dabei von Dubai. Die hätten dort ein ganz anderes, viel entspannteres Leben, keinen Stress, keine Nervosität wie in Deutschland, die würden da total ruhig und entspannt und locker in den Tag hinein leben, nicht wie in Deutschland diese Hektik, das wäre was ganz anderes. Ich sage, habe keinen Stress, ich werde nicht vom Stress nervös, sondern vom Kaffee. Ja, sagt sie und ihre Nichte, die hätte ein Mädchen von den Philippinen, so was nettes und liebes, wirklich ganz lieb, 32 Jahre und auf den Philippinen wäre die Lehrerin gewesen, da habe ihr das Herz geblutet, die habe ihr so leid getan, aber schließlich, wenn man einen besseren Job haben kann. Es gäbe überhaupt sehr viele Philippinos da und Asiaten, die machten den ganzen Service-Bereich, der Service ist da ja wirklich toll. Und diese entspannte Lebensweise und das Wetter, 24 Grad und dann sei sie ja auch im Iran gewesen bei ihrer Mutter, die sei krank gewesen und da waren es Minus 6 Grad, ein riesen Unterschied, also da war es in Dubai doch total angenehm, wirklich, und dieses Leben ohne Stress, ganz anders als in Deutschland. Ich sage, dann müsse sie eben dahin umziehen. Nein, nein, das geht nicht, sie wohne seit 20 Jahren in Deutschland und das sei auch ihre Heimat geworden und sie könne nicht noch einmal umziehen, aber das wäre schon schön da, natürlich die haben überhaupt keine Kultur, alles einfach so in die Wüste gesetzt und so, aber der Service ist da wirklich sehr gut. Da muss man selbst keinen Parkplatz suchen, das macht jemand anders für einen. Der Einkauf wird an den Supermarkt geschickt und kommt dann ins Haus, das bringt einem jemand. Natürlich, da arbeiten dann andere für einen, das ist auch hart, wie Sklaven müssen die arbeiten. Sie arbeite auch gern, aber nicht wie eine Sklavin, das sei wirklich ganz wichtig. Die Türglocke geht und herein kommt Frau Meier, der 9-Uhr-Termin. Sie setzt sich in den Stuhl neben mich. Meine Friseuse begrüßt sie laut und fragt, ob alles in Ordnung ist. Ja, natürlich, alles okay, sagt die Kundin, und bei Ihnen? Meine Friseuse schneidet meine Haare, sieht dabei im Spiegel Frau Meier an und antwortet: Naja, nicht ganz 100 %ig, aber im allgemeinen schon. Ja, erwidert Frau Meier, bei wem sei das alles schon 100%ig, aber man dürfe sich ja nicht beklagen. Ja, sagt meine Friseuse meine Haare schneidend und gleichzeitig Frau Meier ansehend, beklagen wäre falsch, denn eigentlich gehe es einem ja ganz gut, nicht war? Dann sagt sie plötzlich zu mir, so, sie sei jetzt fertig, sie gebe mir jetzt einen Fön und ich kann mich selbst fönen. Sie hängt den Fön in ein Gestell ein und rennt hinüber zu ihrer Kollegin. Dann kommt eine weitere Kollegin herein und sie stehen an der Tür und schwatzen. Ich sitze da und warte. Dann geht meine Friseuse zu Frau Meier, aber bevor sie dort ankommt, frage ich, wie der Fön funktioniert. Sie zeigt es mir und ist wieder um die Ecke zu ihrer Kollegin verschwunden. Ich föhne hastig. An dem Föhn ist ein flacher Aufsatz, der meine Harre noch wilder herum wirbelt, als das Superleistungsgerät es so schon tun würde. Ich versuche, ihn abzudrehen, aber es gelingt nicht, also föhne ich mit diesem Sturmföhn zu Ende, mache ihn aus und hänge ihn wieder ein. Dann zupfe ich an meinen Haaren herum. Niemand kümmert sich um mich, und ich zupfe und zupfe, bis meine Friseuse endlich um die Ecke schießt, um in Frau Meiers Haaren herumzuwühlen. Dann kommt sie zu mir und will mir mit dem Handspiegel zeigen, wie ich hinten aussehe, aber mir reicht schon vorne. Ich sehe aus, als wäre ich in den Windkanal geraten. Ich sage, ich bräuchte vielleicht doch noch mal einen Kamm, woraufhin sie mir einen für mein feines Haar völlig ungeeigneten mit ungefähr fünf Zinken reicht und mich fragt, ob ich so etwas meine. Ich sage, vielleicht doch besser eine Bürste. Sie schubst mir das riesige runde Gefäß mit ca. dreißig Bürsten entgegen, das die ganze Zeit schon vor mir gestanden hatte. Hier seien alle Bürsten, sagt sie, ich könne mir eine aussuchen. Ich greife die erstbeste und kämme hastig mein Haar durch. Nun sieht es aus, als wäre ich in den Windkanal geraten und hätte mich danach mit einer ungeeigneten Bürste gekämmt. Meine Friseuse ist auch schon wieder bei mir, schnappt sich hastig den Handspiegel und geht ein Mal hinter mir im Viertelkreis. Ich sage, ja danke, is gut so, stehe auf, nehme meinen Rucksack, gehe zur Garderobe und ziehe meinen Mantel an. An der Kasse rechnet meine Friseuse bereits was auch immer zusammen. Sie will 20 Euro und sie bekommt 20 Euro. Als ich hinausgehe, sehe ich an einem neu aufgestellten Kosmetiktisch in der Ecke die Kosmetikerin telefonieren und höre sie sagen: "Das habe ich doch schon mal gesagt. Ich weiß jetzt nicht, was sie von mir wollen." Ich gebe dem Laden noch drei Monate.